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AutorenbildAndrea Wege

Schmerzen verstehen und das eigene Schmerzempfinden senken


individuelle_Schmerzwahrnehmung
Die Schmerzempfindung ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich

Schmerz – ein Thema, das viele Fragen aufwirft und oft auch Ängste hervorruft. In meiner Zusammenarbeit mit Kunden bemerke ich immer wieder, wie verbreitet Unsicherheiten und Missverständnisse rund um diese Thematik sind. Deshalb sprechen wir regelmäßig darüber, was Schmerz eigentlich ist, wie er individuell wahrgenommen wird und warum seine Intensität von Tag zu Tag schwanken kann.


Schmerzempfinden ist ein sehr komplexer Vorgang, der über Rezeptoren des Nervensystems ausgelöst und im zentralen Nervensystem interpretiert und verarbeitet wird. Das Verständnis dieser Abläufe kann helfen, die Intensität und die Wirkung von Schmerz im Alltag besser zu verstehen und zu beeinflussen. Doch bevor wir uns ins Detail vertiefen, beginnen wir mit den Grundlagen.

Wichtig:  Die in diesem Artikel bereitgestellten Informationen wurden nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert und verfasst. Sie dienen ausschließlich allgemeinen Informationszwecken und ersetzen keine professionelle persönliche Beratung, Untersuchung oder Diagnose durch eine/n qualifizierte/n Ärztin/Arzt.

Inhaltsverzeichnis:


  1. Was ist Schmerz?


Die IASP (International Association for the Study of Pain) definiert Schmerz seit 2020 als:


„Eine unangenehme sensorische und emotionale Erfahrung, die mit tatsächlicher oder potenzieller Gewebeschädigung verbunden ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird.“ Zusätzlich betont die IASP, dass Schmerz eine subjektive Erfahrung ist und dass er selbst dann als real empfunden werden kann, wenn keine erkennbare Gewebeschädigung vorliegt. Die IASP ergänzt diese Definition mit wichtigen Verständnisaspekten:


  1. Schmerz ist immer eine persönliche Erfahrung, die von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren beeinflusst wird.

  2. Schmerz und die Erfahrung einer Gewebeschädigung können voneinander getrennt sein. Die Beschwerden können also auch ohne sichtbare Schädigung existieren.

  3. Das Schmerzgedächtnis und frühere Schmerzerfahrungen beeinflussen, wie stark er wahrgenommen und verarbeitet wird.

  4. Schmerzen sollte man immer ernst nehmen und respektieren, auch wenn ihre Ursache schwer zu ermitteln ist.


Diese Definition stellt heraus, dass deine Beschwerden mehr sind als nur eine körperliche Empfindung – sie umfassen auch emotionale und kognitive Dimensionen.


  1. Der Prozess der Schmerzentstehung


Die Entstehung ist ein faszinierender und komplexer Prozess, bei dem der Körper auf potenziell schädliche Reize aufmerksam wird, diese verarbeitet und entsprechend reagiert.


Reizaufnahme: Spezialisierte Schmerzrezeptoren, sogenannte Nozizeptoren, erkennen potenziell schädigende Reize wie Hitze, Druck oder Verletzungen. Diese Rezeptoren befinden sich in Haut, Muskeln, Gelenken und inneren Organen. Man kann sie als Gefahrensensoren bezeichnen.


Weiterleitung: Die Nozizeptoren senden elektrische Signale über Nervenbahnen ins Rückenmark und weiter ins Gehirn. Hierbei werden die Signale über spezialisierte Nervenfasern weitergeleitet.


Verarbeitung im Gehirn: Im Gehirn, besonders im Thalamus und der Großhirnrinde, werden die Schmerzsignale analysiert und in bewusste Wahrnehmungen umgewandelt. Hier wird entschieden, ob der Reiz als Schmerz empfunden wird und wie intensiv dieser wahrgenommen wird.


Bewertung und Reaktion: Das Gehirn interpretiert die Schmerzsignale unter Berücksichtigung von Emotionen, Erinnerungen und sozialen Faktoren und entscheidet, wie man darauf reagiert. Wichtig ist hierbei zu wissen, dass Schmerzen immer kontextabhängig sind, doch mehr dazu später.


  1. Was beeinflusst unser Schmerzempfinden?


Wenn wir über die Bewertung und Reaktion von Schmerzsignalen sprechen, lohnt es sich, das Bild eines "Einkaufskorbs" zu nutzen. Stell dir einen Korb vor, der mit vielen verschiedenen "Faktoren" gefüllt ist – jeder einzelne kann unser Schmerzempfinden beeinflussen. Diese Faktoren wirken miteinander und bestimmen, wie stark unsere Beschwerden wahrgenommen werden und wie belastend sie sich anfühlen.


Korb in dem sich Fakten zum Thema Schmerz befinden
Schmerzbeeinflussende Faktoren

Finde hier detaillierte Informationen zu den unterschiedlichen Faktoren:

Biologische Faktoren

  • Schmerzschwelle und -toleranz

    • Das Niveau, ab dem wir Schmerz empfinden, und wie viel wir aushalten können, variiert individuell. Diese Unterschiede hängen von Faktoren wie Genetik und der Empfindlichkeit der Nozizeptoren ab. Studien vermuten, dass über 400 Gene das Schmerzempfinden beeinflussen.

  • Neurotransmitter und Hormone

    • Hormone wie Cortisol (Stresshormon) und Neurotransmitter wie Serotonin, Dopamin und Endorphine (körpereigene Schmerzmittel) spielen eine Rolle in der Schmerzmodulation und beeinflussen, wie stark unser Schmerzempfinden ist.

  • Immunsystem

    • Bei Verletzungen oder Erkrankungen setzt das Immunsystem entzündungsfördernde Stoffe frei, welche das Schmerzempfinden verstärken können, da sie die Schmerzrezeptoren sensibilisieren.

Physische Faktoren

Psychologische Faktoren

  • Emotionale Reaktionen

    • Stress

    • Angst vor den Beschwerden oder einer ernsthaften Erkrankung

    • Depression

    • Sorgen

    • Frustration und Hilflosigkeit

    • Hoffnungslosigkeit

    • Trauer und Verlust


  • Kognitive Faktoren

    • Erwartungshaltung

      • Die Erwartungen, wie stark der Schmerz sein wird und wie gut man ihn bewältigen kann, haben einen großen Einfluss auf unser Schmerzempfinden. Studien zeigen, dass die Erwartung, dass eine Aktivität schmerzhaft ist, tatsächlich eine Verstärkung hervorrufen kann. Positive Erwartungen an eine Therapie oder Erholung können hingegen unser Schmerzempfinden lindern.


    • Fokussierung / Aufmerksamkeit

      • Wenn Menschen ihre Aufmerksamkeit stark auf ihr Problem richten, kann dies zu einem erhöhten Schmerzempfinden führen. Ein ständiger Fokus auf Beschwerden oder körperliche Symptome lässt das Gehirn den Schmerz als relevanter und bedrohlicher wahrnehmen, was das Schmerzempfinden verstärkt. Ablenkung hingegen kann die Schmerzintensität verringern.


    • Glaubenssätze, Überzeugungen, Annahmen und Bewertungen

      • Diese umfassen persönliche Überzeugungen darüber, was Schmerz bedeutet, wie gefährlich er ist und wie lange er andauern wird. Menschen, die ihn als Zeichen einer schweren Verletzung oder Bedrohung für die Gesundheit interpretieren, empfinden ihn oft intensiver. Positive Überzeugungen über die eigene Fähigkeit, mit den Beschwerden umzugehen, können hingegen das Schmerzempfinden senken.


    • Schmerzkatastrophisierung

      • Menschen, die katastrophisieren, neigen dazu, sich auf die schlimmsten möglichen Konsequenzen zu konzentrieren („Es wird nie besser werden“). Ihre Thematik erscheint ihnen als extrem gefährlich und unüberwindbar. Katastrophisieren kann zu einem erhöhtem Schmerzempfinden führen.


    • frühere Schmerzerfahrungen

      • Früher erlebte Schmerzen beeinflussen, wie neue wahrgenommen werden. Wenn jemand in der Vergangenheit negative Erfahrungen mit Schmerzen gemacht hat (z. B. ein langer Leidensweg), kann dies das Risiko erhöhen, dass neue Schmerzen ebenfalls negativ bewertet und als schlimmer empfunden werden.


    • Kontrolle und Bewältigung

      • Selbstwirksamkeit beschreibt das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, das Schmerzempfinden kontrollieren zu können. Menschen mit hoher Selbstwirksamkeit glauben daran, aktiv etwas gegen ihre Problematik tun zu können (z. B. durch Bewegung oder Entspannungsübungen), was entsprechend oft zu einem reduzierten Schmerzempfinden führt.


    • Kontext

      • Der Kontext, in dem der Schmerz erlebt wird, und wie er kognitiv interpretiert wird, beeinflussen die Wahrnehmung. Ein Sportler könnte ihn während eines Wettkampfs als „Teil des Erfolgs“ sehen und weniger intensiv empfinden, während dieselben Beschwerden in einem entspannten Umfeld als stärker wahrgenommen werden könnten. Ein weiteres Beispiel ist das Phänomen, dass ein Kind nach einem kleinen Sturz oft erst dann zu weinen beginnt, wenn es sieht, dass seine Eltern erschrocken reagieren. Wenn niemand stark reagiert oder das Kind durch Ablenkung beschäftigt ist, ist das Schmerzempfinden oft weniger intensiv oder gar nicht präsent.

Verhaltensfaktoren

Psychosoziale Faktoren


  1. Die positive Seite der Schmerzwahrnehmung


Schmerz ist bei so gut wie bei jedem Menschen negativ assoziiert. Doch er ist mehr als nur eine unangenehme Empfindung – er ist ein wichtiges und komplexes System, das unser Überleben und unser Wohlbefinden schützt. Einige der Hauptvorteile der Schmerzempfindung sind:


Schutzfunktion und Warnsignal

  • Schmerz zeigt Gefahr an und verhindert, dass wir uns weiter verletzen (etwa, wenn wir eine heiße Oberfläche berühren und die Hand reflexartig zurückziehen).


Fördert Heilung und Regeneration

  • es motiviert uns, verletzte Körperteile zu schonen und auf Heilung zu achten.


Lernfunktion

  • wir lernen, riskante Situationen in Zukunft zu vermeiden


Kommunikation und soziale Bindung

  • In vielen Fällen führt das Empfinden und Teilen von Schmerz zu einer verstärkten Bindung innerhalb sozialer Gruppen.


Selbstbewusstsein und Körperwahrnehmung

  • Schmerz hilft uns, die eigenen physischen Grenzen besser zu verstehen und zu respektieren. Er stärkt das Bewusstsein für den eigenen Körper und lässt uns dessen Bedürfnisse und Empfindlichkeiten besser wahrnehmen. Diese Körperwahrnehmung fördert eine achtsamere Lebensweise und kann uns helfen, auf Signale des Körpers frühzeitig zu reagieren, bevor aus kleinen Beschwerden größere Probleme werden.


Motivation zur Veränderung

  • unser Körperbewusstsein wird gesteigert und es motiviert zu gesundheitsförderndem Verhalten.



  1. Tipps um dein Schmerzempfinden zu reduzieren


Das Konzept Gefahr vs Sicherheit


In der modernen Schmerztherapie werden die Konzepte der Danger In Me (DIM) und Safety In Me (SIM) als Teil des Erklärungsmodells für Schmerz genutzt. Sie spielen eine zentrale Rolle in der Bewertung und Reaktion auf Schmerzen, und stammen aus der Explain Pain-Therapie, die von den Schmerzforschern Lorimer Moseley und David Butler entwickelt wurde.


Schmerzen entstehen, wenn das subjektive Gefühl der Bedrohung größer ist als das subjektive Gefühl in Sicherheit zu sein.


Schmerzen entstehen nicht, wenn das subjektive Gefühl in Sicherheit zu sein größer ist als das subjektive Gefühl in Gefahr zu sein.

 (Moseley and Butler 2015, pp14)


In unserem Leben gibt es eine Vielzahl von „Gefahren“, den DIMs, die aus ganz unterschiedlichen Bereichen stammen können. Dazu zählen etwa beunruhigende Röntgen- oder MRT-Berichte, belastende Aussagen anderer, festgefahrene Überzeugungen oder beängstigende Nachrichten. Gleichzeitig gibt es aber auch viele Quellen der „Sicherheit“, den SIMs, – beispielsweise fundiertes Wissen, persönliche Ziele, positive Gedanken, Aktivitäten die das Wohlbefinden steigern, die Unterstützung durch kompetente Gesundheitsfachkräfte oder das Wissen, geliebt und unterstützt zu werden.


DIMs und SIMs beeinflussen, wie gefährlich oder sicher eine Thematik vom Gehirn eingeschätzt wird, und diese Bewertung beeinflusst wiederum die Schmerzintensität und die körperliche Reaktion darauf. Das Wissen darum zeigt, wie Menschen ihr Schmerzempfinden beeinflussen können. Stelle dir eine Art Barometer vor. Je mehr DIMs vorhanden sind desto stärker bewegt sich der Indikator nach oben. Ein Übergewicht an DIMs signalisiert Gefahr und kann unser Schmerzempfinden verstärken. Genauso verhält es sich andersherum. Für einen niedrigen Indikator sollten die SIMs stärker ausgeprägt sein, was zu einem niedrigerem Schmerzempfinden führt.


Das Ziel ist es also, Gefahrensignale (DIMs) zu identifizieren und zu reduzieren sowie parallel Sicherheitsgefühle (SIMs) zu stärken um eine weniger intensive Schmerzreaktion zu fördern.

 

Schmerzen und Bewegung entkoppeln


Schmerzen können in bestimmten Fällen erlernt werden. Dies geschieht vor allem durch konditionierte Lernprozesse und psychologische Mechanismen, die die Wahrnehmung beeinflussen. In der klassischen Konditionierung wird Schmerz mit einem bestimmten Ereignis oder einer bestimmten Handlung verknüpft. Zum Beispiel, wenn jemand bei einer bestimmten Bewegung Beschwerden hat, kann das Gehirn beginnen, diese Bewegung damit zu assoziieren. Selbst wenn die physische Ursache nicht mehr vorhanden ist, kann die bloße Vorstellung oder Durchführung dieser Bewegung wieder Schmerzen hervorrufen. Ein bekanntes Beispiel wäre jemand, der bei bestimmten Bewegungen immer wieder Rückenschmerzen hat. Mit der Zeit kann die bloße Vorstellung, sich so zu bewegen, Beschwerden "auslösen", obwohl keine schädliche Verletzung vorliegt. Das Entkoppeln ist eine entscheidende Strategie, um die Schmerzwahrnehmung zu verändern und langfristig die Lebensqualität zu verbessern.


Eine Möglichkeit der Entkopplung ist die Verwendung von Ablenkungstechniken: Ein Patient mit chronischen Schmerzen ohne Gewebeschaden verspürt allein beim Gedanken einer hohen Kniebeuge Schmerzen. Der Versuch scheint unmöglich und die Angst blockiert den Prozess. Das Treppensteigen während eines netten Gespräches mit dieser Person ist jedoch problemlos möglich.


Da das Erlernen tatsächlich möglich ist, ist es für dich wichtig den Prozess zu verhindern und sofern bereits fortgeschritten die Kopplung schrittweise aufzulösen.  


Was bedeutet dies also für dein Training?


  1. Starte dein Training mit Übungen im schmerzfreien / schmerzarmen Bereich und passe sie deiner Wundheilungsphase an

  2. Arbeite an deinen DIMs und SIMs

  3. Baue nach und nach schmerzfrei Bewegungen ein, welche angstbehaftet sind und gewinne so das Vertrauen zurück

  4. Baue sukzessive mehr Belastbarkeit durch eine progressive Trainingsgestaltung auf.


Suchst du Unterstützung in diesem Bereich, empfehle ich dir, einen Trainer oder Therapeuten zu finden, dem du dein Vertrauen schenken magst. Gemeinsam könnt ihr im ersten Schritt – falls noch unklar – die Ursachen deiner Problematik herausfinden. Schritt für Schritt erarbeitet ihr einen individuell auf dich zugeschnittenen Plan, der im Alltag für dich umsetzbar ist und dir hilft deine Schmerzspirale hinter dir zu lassen.


Hast du Interesse, mehr über das Thema zu erfahren oder deine persönliche Situation genauer zu besprechen, dann erfahre hier mehr zu meiner Arbeitsweise und den unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit.





Für ein unverbindliches Erstgespräch kontaktiere mich gern telefonisch unter 0173/5800344, per E-Mail an info@andreawege.de oder über mein Kontaktformular.

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